[Eli. Schindler] [Joh. Gottschalk] [B. Levy] [A. Wolff] [H. Coschmann] [Synagogengemeinde Mondorf]

Der Leidensweg des Walter Schmitz
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"Ich bin Mitglied dieser Gemeinde [gemeint ist die Synagogengemeinde Mondorf] gewesen. Ich bin geboren am 5. 1. 1923 in Rheidt und habe in der Folgezeit in Rheidt gewohnt bis etwa Anfang 1938 [...]
Meine Eltern waren Emil Schmitz, Klempner und Installateur in Rheidt, und dessen Ehefrau Helene Schmitz, geborene Landau. Meine Schwester hieß Hilde Schmitz. Sie war geboren am 27. 12. 1918. Meine Schwester hat zunächst die Volksschule in Rheidt besucht und ist anschließend nach Köln in die Lehre gekommen, zu meinem Onkel Salomon Schmitz. Dieser Onkel Salomon Schmitz ist in der Frühzeit des NS-Regimes ausgewandert, zunächst nach Belgien und von dort in die Vereinigten Staaten. Meine Schwester hat in Köln die Metzgerlehre beendet. Sie ist nicht mit meinem Onkel in die Vereinigten Staaten ausgewandert, sondern von Köln aus nach Holland. In Holland ist sie dann später nach der Besetzung Hollands durch die Deutschen deportiert worden. Sie soll nach Auschwitz gebracht worden sein. Genaues habe ich bis heute nicht herausfinden können.
Wir zogen im Jahre 1938 [...] nach Köln, da meinem Vater in Rheidt die Ausführung seines Berufes fast unmöglich gemacht wurde. Von dort aus wurde mein Vater gezwungen, im Tiefbau zu arbeiten und ich auch. Späterhin, als die ersten Deportationen losgingen, wurde meine Familie sofort zum ersten Transport mit zugezogen [...] Daraufhin gelang es mir, meine Eltern dreimal von laufenden Transporten freizukriegen. Aber beim letzten Transport wurde die Familie getrennt. Meine Eltern wurden wieder zum Transport aufgestellt, und daraufhin habe ich mich freiwillig gemeldet. Beim dritten Transport wurde die Familie getrennt, und ich wurde wieder freigestellt, habe mich dann aber freiwillig gemeldet, um bei meinen Eltern zu bleiben. Es wurde uns gesagt, daß wir nur umgesiedelt werden, irgendwohin im Ostgebiet, um dort in der Kriegsindustrie zu arbeiten. In Wirklichkeit wurden wir nach Riga transportiert [...]
Wir wurden in den frühen Morgenstunden zur Deutzer Messe abtransportiert. Wir wurden beim Gesang "Stellt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand" und "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt" dann in Transportwagen von der Messe aus in Waggons eingepfercht und kamen am 13. 12. 1941 [...] in Riga an, in der größten Kälte, und wurden mit Peitschen aus den Zügen getrieben. Bereits auf dem Umschlagplatz Riga, damals genannt Schirotawa. wurden schon Leute, die nicht schnell genug sich bewegen konnten, [...] erschossen. Wir wurden zu Fuß abgeführt in das damalige Kenturiga. Das Kenturiga war ein Stadtteil von Riga, den man zur heutigen Zeit ein Slum - Revier nennen würde. Wir kamen in Häuser rein, wo noch warmes Essen auf dem Tisch stand, was uns unerklärlich war. Auf den Straßen fand man Blutlachen, die in Eis sich gewandelt hatten. Später erfuhren wir, diese Blutlachen, so unglaublich es klingt, kamen dadurch. daß die Deutsche SS zusammen mit der Lettischen SS, die viel schlimmer noch waren teilweise als die Deutsche SS, sich eine Freude daraus gemacht hatte, Kinder in die Luft zu schmeißen und darauf zu schießen wie auf Vögel. Am dritten Tage wurden alle Jugendlichen, männliche Jugendliche in meinem Alter und etwas darüber, zusammengetrieben und nach dem heute bekannten Todeslager Salaspils gebracht [...]
Tagelang ohne Essen hat man die Menschen dazu bekommen, daß sie effektiv zu Tieren wurden. Täglich wurden Erschießungen, Erhängungen vorgenommen. Die schlimmste Greueltat, die wir erlebten, war am Weihnachtstage 1941. Ein Transport von 13 Personen, damals noch Kinder, wurden aus dem Getto nach Salaspils gebracht und wurden dort mit Dumdumgeschossen umgebracht. Ein Galgen war immer bereit, täglich Erhängungen vorzunehmen. Es bestand überhaupt keine Möglichkeit mehr, aus diesem Lager lebend herauszukommen.
Mein Glück war es, daß eines Tages durch Mangel an Arbeitskräften für die Deutsche Kriegsindustrie Leute gesucht wurden. Ich habe mich als Mechaniker gemeldet und wurde durchgeschleust in verschiedene Kriegsbetriebe. Salaspils selbst hat fast kein Mensch überlebt [...] Von dort aus kam ich zurück ins Getto und habe auch dort gesehen, wie man täglich Menschen umbrachte [...] Nachdem ich als Mechaniker in Salaspils ausgesucht wurde, was mir quasi das Leben rettete, kam ich zuerst mal zurück ins Getto. Dort wurde ich dann eingeteilt in eine Arbeitsgruppe, die täglich aus dem Getto herausmarschierte, in die Kriegsbetriebe und abends wieder zurück ins Getto. Bei dieser Gelegenheit sah ich meine Eltern wieder und lebte auch noch eine Zeit lang mit meinen Eltern. Eine weitere Aussage bezüglich Salaspus, dürfte vielleicht interessant sein. Nachdem Todesstrafe bestand für jeden jüdischen Häftling, wenn er dabei erwischt wurde, wenn er einen Strumpf oder einen Pullover oder irgend etwas mit lettischen Arbeitern. die damals dort gearbeitet haben, in der Nähe eintauschen wollte gegen Brot, der wurde sofort erschossen. Ich wurde eines Tages im Morgengrauen, ungefähr 4 - 5 Uhr, plötzlich erwischt, als ich einen Pullover eintauschen wollte gegen ein Stück Brot und zwar von lettischer SS. Ich wurde nackt ausgezogen und gegen einen Holzstapel gestellt zur Erschießung. Wieso man mich nicht erschossen hat, dürfte man nur auf ein Gotteswunder zurückführen. Man hat mich zwar halbtot geschlagen und zurück in die Baracke geschleppt [...]
Eines Tages wurde ich von der SS ausgesucht für ein anderes Kommando und wurde vom Getto weggeholt in ein Lager nahebei, das ein SS - Gut war mit Namen Jungfernhof. Dort habe ich viele Monate verbracht als Traktorfahrer, um die Felder zu bearbeiten. Hierzu möchte ich sagen, daß die Felder, die wir bearbeiteten, wahrhaftig mit Blut durchtränkt waren. Denn man hatte dort über Massengräber Kartoffeln, Getreide usw. angepflanzt, womit die SS an der Ostfront versorgt wurde. Nachdem die russische Armee näher und näher heranrückte, wurden nach und nach alle Lager geräumt und wir kamen zurück ins Getto. Im Getto waren nur noch einige Leute, die sich versteckt hatten, mit ihren kleinen Kindern, von denen noch einige vorhanden waren, und wußten nun nicht, was mit ihnen geschehen sollte. Es ist mir bekannt, daß man wie eine Partisanenjagd, diese einzelnen Menschen deutscher Abstammung, jüdischer Abstammung, dann doch aus den Kellern herausgeholt hat und alle erschossen hat. In Riga besteht ein Friedhof, zur damaligen Zeit im Getto, wo diese Erschießungen gemacht wurden. Ich selbst habe zum erstenmal in meinem Leben tote Menschen gesehen, effektiv mit begraben müssen und zwar nackt in ein Massengrab.
Nachdem das Riga - Getto vollständig geräumt war, kam ich in das berüchtigte Sammellager Kaiserwald. Von dort aus wurden wir immer wieder in einzelne Lager verschickt. Während ich in Kaiserwald war, fand ich meine Eltern wieder. Meine Eltern wurden von dort aus verschickt. Mein ganzes Leben lang habe ich mir darüber Vorwürfe gemacht, daß ich vielleicht meine Mutter hätte retten können, aber wie das Schicksal es auch will, eines Tages habe ich die Zeit überschlafen, bedingt durch Erschöpfung, wo man die älteren Leute zusammengepfercht hat und verschickt. Es ist mir bekannt, daß mein Vater in Riga verhungert und an Typhus umgekommen ist. Meine Mutter wurde zurück in das leere Getto gebracht, wo eine Kleiderkammer bestand, in der man Soldatenuniformen usw. vergast, d.h. durch Gasbehandlung entlaust hat. Dort wurden diese Leute, wie meine Mutter, vergast. Wie bereits erwähnt, habe ich mir immer Vorwürfe gemacht: Vielleicht hätte ich sie retten können.
Von Kaiserwald aus wurde ich dann durch weitere Läger geschleust. Alles in allen bin ich in 11 verschiedenen Konzentrationslagern gewesen. Nachdem die Russen nun immer weiter auf Riga zukamen, wurden wir eines Tages auf ein Schiff getrieben und nach Deutschland verschickt. Hier kam nun für mich, als deutscher Jude, die erste Chance. Ich sagte mir, daß, wollte ich irgendwie einen Fluchtversuch machen, ich auf deutschem Boden so etwas eher fertigbringen kann, als in einem fremden Land, in Estland. Ich möchte dazu bemerken, daß es fast keinem gelungen ist, jemals einen Fluchtversuch zu vervollständigen. Immer wurden sie wieder eingefangen und wurden öffentlich erschossen oder erhängt. Später hat man Geiseln für jeden Fluchtversuch genommen. Zehn Leute wurden aus der näheren Umgebung herausgesucht zur Erschießung. Darunter befand sich auch einer Namens Wolf, [...] oder aber einer, der mit einer Frau Wolf aus Wesseling verheiratet war, ursprünglich aus Siegburg stammte [...] Nun bestand auch die Gefahr. daß auch ich diesmal wieder dabeisein würde, aber es war nicht der Fall. Ich blieb davon verschont. Wir wurden auf das Schiff getrieben, mitten im Winter, und kamen nach vielen Strapazen und wenig Überlebenden in das berüchtigte Lager Stutthof - Danzig an.
Stutthof war eines der Läger, die bereits heute in der Geschichte bekannt sind als Vernichtungslager. In Stutthof wurden die Menschen teilweise totgeprügelt und zwar nicht von der SS. aber von ihren Henkern, die aus politischen oder kriminellen Häftlingen bestanden. Alle waren gekennzeichnet, entweder durch ein [...] rotes X für Doppelmörder oder, soweit mir bekannt ist, ein grünes X als Politische usw. Es gelang mir, aus Stutthof herauszukommen, und ich wurde in ein weiteres Lager verschickt [...] Wir sind dann bis nach Danzig gekommen und haben dort in einem U - Boot - Werk gearbeitet. [...] Von dort aus kamen dann auch die Russen wieder näher. Wir befanden uns in einem Lager Gotentoff. Auch dort hieß es wieder, nachdem wir die russischen Geschütze schon hörten, daß wir wieder weiter zurück nach Deutschland gingen. Unser Glück war, daß dieses von den Bergen umgeben war und wir die Kanonenschüsse hörten, doch die Deutsche SS hatte sich geirrt. Was wir hörten war das Echo. Dadurch marschierten wir in der Nacht in die falsche Richtung, den Russen praktisch entgegen. Jetzt kam meine Chance, und mit einem Freund, Kurt Mendel aus Krefeld, haben wir uns gesagt, jetzt ist die Zeit, wo wir verschwinden müssen. Wir wußten, daß wir diese Nacht nicht lebend durchstehen würden. Wir haben einen kranken Kameraden mitgenommen, und deswegen ist es zu einem Fluchtversuch nicht gekommen.
Wir wurden nachts in eine Scheune einquartiert, wo ein Einfahrtstor war und ein Ausgangstor. Nachdem wir vor Erschöpfung auf einem schmutzigen Boden eingeschlafen waren, hörten wir plötzlich ein ganz großes Geschrei und Durcheinander. Ich wachte auf und war sehr verärgert über das Geschehen, nachdem ich schon endlich etwas eingeschlafen war [...] Nachdem ich nun aufwachte und endlich sah, was los war, war das Bild etwas Unglaubliches. Die Russen überraschten uns und das, was wir sahen, war die Erschießung von der SS.
Jetzt gingen wir auf den Rückmarsch und zwar wurde uns von den Russen gesagt, welche Richtung zu gehen war, da auch immer wieder Rückschläge kamen. Auf diesem Rückmarsch erkrankte ich an Typhus und wurde eines Tages in ein russisches Lazarett in Lauenburg (Pommern) eingeliefert. Es bestehen 6 - 8 Wochen, die mir nicht mehr im Gedächtnis sind, da ich so schwer an Typhus erkrankt war und, möchte ich sagen, vollständig verwirrt war. Nachdem ich dann mit 72 Pfund endlich aus dem Hospital herauskam, waren wir vollständig auf uns selbst angewiesen, und ich versuchte, mich nun wieder zurück nach Deutschland durchzuschlagen [...]

Walter Schmitz berichtet, wie er über die Tschechoslowakei nach Österreich gekommen ist, nach Wien. Von dort versuchte er weiter nach Deutschland zu gelangen, wurde jedoch von den Russen gefaßt und für kurze Zeit festgenommen. Später gelang es ihm, in die USA auszuwandern, nachdem er seine dort lebenden Verwandten hatte verständigen können.

Quelle : Brief von Walter Schmitz an die Stadtverwaltung Niederkassel (1977), in Auszügen veröffentlicht in :
Linn, H. Juden an Rhein und Sieg, Siegburg 1983, S. 527 ff.


"Gewalt beendet keine Geschichte"
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